Pünktlich zu seinem ersten Geburtstag hat der BVV-Verkehrsausschuss Pankow dem Mobilitätsgesetz ein besonderes Geschenk gemacht. Es beauftragte das Bezirksamt, einen ungeschützten Radstreifen in der Storkower Straße zu planen. Eigentlich sollte neu gebaute Infrastruktur endlich auch ein Angebot für diejenigen Radfahrer*innen zu machen, die sich das Radfahren im Berliner Wahnsinn nicht zutrauen – so will es das Mobilitätsgesetz seit einem Jahr.
Schauen wir uns das Beispiel Storkower Straße zwischen Kniprodestraße und Landsberger Allee einmal an: Es scheint hier keine Platzprobleme zu geben (anders als bei vielen Berliner Straßen). Der gesamte Straßenraum bietet mit knapp 30 m Breite vielfältige Möglichkeiten, allen Verkehrsarten ausreichend Raum zu geben. Bislang zeugt ein buckliger Holperradweg davon, dass die Planer vergangener Jahrzehnte das Fahrrad nicht so richtig für voll genommen haben: zwei handtuchbreite Radwege angesichts von 30 m Straßenraumquerschnitt entsprechen bei weitem nicht mehr der heutigen Anforderungen.
Wie geht man nun vor? Berliner Planungen dauern lang, zu lang. Deshalb achten Planer darauf, den Planungs- und Bauaufwand überschaubar zu halten. Aus diesem Grund z.B. ist der Bordstein heilig: seine Versetzung würde aufwändige Einwilligungs- und Bauarbeiten, vor allem bei der Regenwasserkanalisation, nach sich ziehen. Angesichts der (selbst für Berliner Verhältnisse üppigen) 6 m Seitenraum oberhalb des Bordsteins, erscheint es naheliegend, Rad- und Gehweg so anzuordnen, dass beide ein auskömmliches Maß erhalten. Das Ergebnis wäre ein sicherer Radweg jenseits parkender Autos oberhalb des Bordsteins, ein sogenannter Hochbordradweg.
Und ja, auch den Kritikern, die diese Variante pauschal auf den Müllhaufen der (Bau-)Geschichte wünschen, sei entgegnet, dass sich Gefahren durch abbiegende Kfz an Einmündungen ausreichend reduzieren lassen. Ein Parkverbot (notfalls baulich durchgesetzt) von mindestens 10 m würde die Sichtbeziehungen, deutliche Anrampungen die Abbiegegeschwindigkeiten problemlos reduzieren.
Nun hat – parallel zum Mobilitätsgesetz – die Senats-Verkehrsverwaltung die Anlage von sicheren Radfahrstreifen (protected bike lane, PBL) in zwei Straßenabschnitten als Demonstrationsbeispiel vorangetrieben – in der Holzmarktstraße und der Hasenheide. Dort sollte das ideale Design für sicherere Fahrradstreifen erprobt werden, um es in einem so genannten “Regelplan” (sozusagen eine Vorlage für Planer) festzuschreiben. Diesen könnte man natürlich auch in der Storkower Straße anwenden: es entstünde ein ausreichend breiter Radstreifen, baulich abgetrennt von einem ausreichend breiten Sicherheitstrennstreifen. Das würde in etwa so aussehen:
Ein Vergleich offenbart Vor- und Nachteile beider Varianten. Sofort sichtbar: bei der Variante sicherer Radstreifen fiele die Parkspur (und etwaige Lieferzonen) ersatzlos weg – sicherlich von Signalwirkung für die Verkehrswende. Allerdings sind viele (mehrheitlich die unsicheren, die bislang kaum oder nicht mehr fahren) Radfahrer*innen froh über jeden Kilometer, den sie nicht direkt in bedrohlicher Nähe von PKWs und LKWs fahren und damit deren Schadstoffemissionen ausgesetzt sind. Die zahlreichen dort parkenden LKW und Transporter bilden sogar eine Art Lärmschutzwand für den Seitenbereich, in dem der breite Hochbordradweg geführt würde.
Beim Bauen hat jede der Varianten einen anderen Nachteil: In der Variante Hochbordradweg müssten die Straßenlaternen für eine optimale Platzausnutzung versetzt werden, in der Variante sicherer Radstreifen sogar der Bordstein incl. Entwässerung in seiner ganzen Länge. Eines ist jedenfalls klar: unter Abwägung der genannten und sicherlich noch einiger anderer Vor- und Nachteile würde die optimalste der beiden Varianten gefunden werden.
Doch zurück zum Anfang, dem aktuellen Prozess der politischen Entscheidungsfindung. Dort fiel am 17. Juni gerade das Votum für eine Variante, die wir alle zur Genüge aus dem Berliner Stadtbild kennen: die bloße Markierung eines Radfahrstreifens ohne jeglichen baulichen Schutz.Der §43(2) des Mobilitätsgesetzes fordert, dass Radfahrstreifen so gestaltet werden sollen, dass “… unzulässiges Befahren und Halten durch Kraftfahrzeuge unterbleibt”. Dass die bloße weiße Linie diese Forderung durchsetzt, ist ein frommer Wunsch: in Berlin gelten Radfahrstreifen unter Autofahrer*innen eher als Parkmarkierung, wie hier ersichtlich:
Wir können uns noch an die Jahre des Berliner Sparwahns erinnern, der die Infrastruktur mit Ansage verrotten ließ und in dem die billigsten der notwendigen Baumaßnahmen immer noch zu teuer waren. Dies mag auch für die Bezirkspolitiker*innen eine prägende Zeit gewesen sein, in der sie ungeliebte Entscheidungen treffen mussten.
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Mobilitäsgesetzes haben sich die Vorgaben allerdings geändert. In Senat und Bezirken wurden dutzende Stellen für die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur geschaffen und es sind ausreichend Gelder vorhanden, die üblicherweise nicht vollständig aufgebraucht werden (selbst 2018 verfielen noch 5 Mio. € bzw. ein Viertel der für den Radverkehr vorgesehenen Finanzmittel). Die Senats-Verkehrsverwaltung hat mehrfach signalisiert, dass diese Mittel zügig für die Planung vernünftiger und zukunftsfähiger Fahrradinfrastruktur freigegeben werden. Zudem wird In den bald vom Senat beschlossenen “Vorgaben für die Radverkehrsplanung” deutlich benannt, dass nur ein baulicher Schutz das illegale Befahren und Halten durch KFZ verhindert und demzufolge vorrangig baulich abgegrenzte Radverkehrsanlagen geplant werden sollen.
Nun liegen die Hoffnungen erst einmal bei der Senats-Verkehrsverwaltung, die vor der Freigabe von Mitteln überprüfen muss, ob das Vorhaben den neuen Ansprüchen an zukunftsfähige Radinfrastruktur entspricht. Zwar ist es sinnvoll, den Platz zum Halten und Parken besser dem Radfahren zu widmen. Wir alle wissen aber, dass es nicht funktioniert, wenn die Parkplätze verschwinden, obwohl die auch mit dem Auto angesteuerten Ziele bestehen bleiben – und diese Umverteilung dann durch eine bloße weiße Linie durchgesetzt werden soll. Wir fürchten, dass beim Bau eines ungeschützten Radstreifens die alte Berliner Devise “Sparen, bis es quietscht” bei den gefürchteten Ausweichmanövern unangenehme Folgen für einige Radler*innen haben wird, die uns der Vision Zero kein Stück näher bringen wird.
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